Wilhelm Bier – Maler und Zeichner in Eichstätt
Dem Studienbuch, das die Akademie der Bildenden Künste in Wien für den am 6. Juli 1919 im mährischen Zwittau geborenen Studenten Wilhelm Bier ab 1942 führte, als Bier im Mai des Jahres dort sein Kunststudium aufgenommen hatte, liegt noch heute ein gepreßtes vierblättriges Kleeblatt bei.
Ein Glückskind war Willi Bier, sieht man auf seine Künstlerlaufbahn, aber deshalb trotzdem nicht
Still, manchmal melancholisch oder gar schwermütig und doch auch wieder humorvoll, heiter und unternehmungslustig, so haben noch viele Menschen in Eichstätt und im Landkreis den Kunstmaler und Grafiker Willi Bier, der mit seinen Illustrationen und satirischen Zeichnungen ab 1950 über eineinhalb Jahrzehnte hin auch das Erscheinungsbild von EICHSTÄTTER KURIER und DONAUKURIER mitgestaltete, in Erinnerung.
Erste Einzelausstellung als 62-jähriger
Als Bier nach einer langjährigen Erschöpfung im Dezember 1981 in seiner ersten Einzelausstellung, die er in Eichstätt in der ehemaligen Johanniskirche am Domplatz eingerichtet hatte, an die Öffentlichkeit trat, war dieses Unterfangen zugleich eine Art Vermächtnis.
Der sensible und längst mehr und mehr zurückgezogen lebende Willi Bier hatte im Sommer und im Herbst des Jahres zu einer erneuerten, starkfarbigen und lebhaften Aquarellmaltechnik gefunden. Mit dieser Naß-in-Naß-Malweise meisterte Bier, der in der Zeichnung wie im Aquarell, und da sogar auf dem schwierigen Japanpapier, oder in der Ölskizze immer außerordentlich detailverliebt war, nun auch große Flächen souverän und ohne allen verspielten Zierat.
Die neue Qualität der so entstandenen Landschaften und Stadtansichten war Bier offenbar bewußt, als er sich 62-jährig mit 87 Arbeiten erstmals alleine vors Publikum wagte.
Der Erfolg war überwältigend, die Ausstellung gerade erst einen halben Tag beendet und noch nicht einmal ganz abgehängt, da erlag Willi Bier am 14. Dezember 1981 unerwartet plötzlich einem Herzversagen.
In einem kurzen Nachruf für den neben C.O. Müller, dem am 28. Dezember 1970 in München verstorbenen „Cézanne des Altmühltals”, wohl bedeutendsten Maler und Grafiker der unmittelbaren Nachkriegszeit in Eichstätt und der Region hieß es damals in der Heimatzeitung, dass Willi Bier, wie viele andere Künstler auch, „seine besonderen Schwierigkeiten zwischen Kunst und Gesellschaft” gehabt habe.
Kunst und künstlerische Ordnung neben „alltäglicher” Unordnung waren ihm oftmals gültiger und wirklicher als die Erfordernisse des täglichen Seins. Dennoch blieb der Künstler der Wirklichkeit „verhaftet”, konnte man im EICHSTÄTTER KURIER 1981 lesen.
Studium in Wien
Willi Bier, der aus einer Familie respektabler Maurer- und Baumeister stammte, hatte nach dem Abitur im Jahr 1938 eigentlich Architektur studieren wollen.
Die Einberufung zum Militär kam 1939 dazwischen, später eine schwere Kriegsverletzung in Rußland, wo Bier den linken Unterarm verlor. Der Linkshänder mußte lernen, fortan mit der Rechten zu arbeiten und zu zeichnen.
Bier wurde aus dem Kriegsdienst entlassen und studierte an der Kunstakademie in Wien.
Mit ansehnlichem Erfolg, wie seine sehr guten Zensuren in einem im Nachlass aufgefundenen Studiennachweis der Wiener Akademie der Bildenden Künste belegen. Im „Feber” 1945 verlieh die Akademie, vom Rektor mit Siegel bestatigt, „Herrn Bier Willi den Meisterschulpreis”. 1946 folgte dem Krieg und dem Zusammenbruch Nazi-Deutschlands die Vertreibung aus der Heimat. Bier kam, wie viele weitere Millionen vom Krieg entwurzelte Menschen, in den westlichen Besatzungszonen unter. In Eichstätt heiratete Willi Bier 1949, nachdem er 1946 zuerst nach Kipfenberg gelangt war und dann in Eichstätt-Marienstein lebte, die Kriegerwitwe Gertraud Kühnl.
Willi Bier war dann, der Nachkriegsnot gehorchend, die kaum oder gar keine Verwendung für künstlerische Begabungen kannte, zunächst als freischaffender Maler und Grafiker tätig, sein Atelier hatte er im Gartenpavillon des Cobenzl-Schlösschens. Dort entstanden in der Hauptsache Steinätzungen.
Sohn Thomas wohnt heute in diesem Gartenpavillon und er sieht täglich die noch immer von den Steinätzungen herrührenden Verschleissspuren am Fußboden.
Von 1961 bis 1977 arbeitete Bier als Fachlehrer für Zeichnen und Werken an der Knabenrealschule in Rebdorf.
Dieser Werdegang mag sich retrospektiv eher unspektakulär ausnehmen, er war dem entwurzelten Menschen und Künstler Willi Bier aber allemal Herausforderung genug. In all den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Bier zahlreiche finanzielle, seelische und kreative Krisen.
Die Kinder wollten ernährt sein, und so arbeitete Bier in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts als Zeichner, Illustrator, Karikaturist und Aquarellmaler für die Heimatzeitung und die Kirchenzeitung des Bistums Eichstätt. Mitte der 50er Jahre gehörte Bier zu den Gründern des Eichstätter Künstlerrings. Und bereits Ende der 1950er Jahre gab er auch Büchern und ersten Werbeprospekten für das Ausflugsziel Altmühltal seine freche, flotte und weithin geschätzte grafische Handschrift mit.
Bekannt war der satirische Zeichner Willi Bier auch für seine Sonderveröffentlichungen im so genannten „Närrischen Donau Kurier”, der ab 1951 in schöner Regelmäßigkeit zu den tollen Tagen im Fasching als Bestandteil der EICHSTÄTTER ZEITUNG erschien.
Schließlich galt auch die Porträtmalerei in den ersten Nachkriegsjahrzehnten beim Publikum noch etwas und Bier verstand sich darauf wenigstens so gut wie auf die Landschafterei in Öl und im Aquarell oder auf heiter despektierliche Genreszenen, wie in einer umfangreichen Serie aus dem Jahr 1960 erhalten sind.
Das Neue ließ man in der Kunst auch in Eichstätt und der Region zuerst gewähren, wo es, wie bei C.O. Müller, mit der Aura der unangefochtenen Meisterschaft versehen war oder wo es spielerisch-skizzenhaft als Gebrauchsgrafik daher kam. Die technische Kunstfertigkeit schien einem breiten Publikum auch an der Schnelligkeit, in der eine treffende Zeichnung entstand, ablesbar.
Erfolgreich in den 50er und 60er Jahren
Die 50er und die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden so zu Willi Biers erfolgreichster Zeit als freischaffender Künstler.
Die plakative Zeichenkunst beherrschte er wie sonst nur die Großen des Metiers. Sie entstanden oft im Stil der Vater-Sohn-Geschichten des 1944 so tragisch in den Tod getriebenen Erich Ohser alias E.O. Plauen. Wie Ohser, der im April 1944 dem Terror der Nazis und von Freislers Volksgerichtshof nicht standhalten konnte und sich umbrachte, war Willi Bier ein Zeichner, dessen Wirklichkeitsreflektion auf eine konzentrierte Anschaulichkeit in einer klaren Form zielte.
Dennoch, die Bildgeschichten und satirischen Zeichnungen Biers dienten zuerst der Existenzsicherung. Dem Handzeichner und Aquarellisten sollten sie den Rücken für die eigentliche Kunst freihalten.
Die Ausstellungen im Haus der Kunst in München sahen den Maler aus Eichstätt dann ebenfalls regelmäßig unter den Gewinnern. Biers Aquarelle aus dem Altmühltal fanden dort in den 50er Jahren zu Preisen von 150 Mark und mehr ihre Käufer.
Zwar gelang es Willi Bier nicht derart erfolgreiche „Images” zu entwerfen, wie etwa das 1957 von einer Hamburger Werbeagentur ins Rennen um die Rauchergunst geschickte HB-Männchen, aber Biers rascher Zeichenstrich und seine manchmal auch an den Figuren von Wilhelm Busch orientierten „Tuschestrichmännchen” brachten dem Zeichner versöhnlich-humorvoller oder auch geistreich-grotesker Alltagsszenen Anerkennung und Aufträge ein.
Bier und seine Familie konnten leben, ja sogar gut leben.
Der Künstler, der Maler, der suchende Neuerer, und dies alles war Willi Bier auch, sie blieben im Alltagsgeschäft freilich oft auf der Strecke, wenn Bier nicht gerade reiste.
1957 gings nach Venedig. Ein Skizzenbuch im Nachlass zeigt, dass Bier als Handzeichner da nicht alleine sehr fleißig war, er beherrschte sogar ausgesprochen elegant die Kunst des Unvollendeten.
Später, in den 60er Jahren, bereiste Bier, dann oft auch mit der ganzen Familie, Griechenland oder Spanien, Portugal und Frankreich.
Die Reisen waren damit nicht alleine Biers Ausbruch aus der nach den stürmischen 50er Jahren für ihn allzu schnell reichlich bürgerlich gewor-denen kleinen Welt in Eichstätt und der Region. Schmerzhaft bewußt wurde ihm auf Reisen auch, was aus ihm hätte werden können, wenn er, wie beispielsweise der Architekt und Karikaturist Ernst Maria Lang aus Oberammergau, nach Kriegsende ein Kunststudium in München wieder aufgenommen oder vertieft fortgeführt hätte.
Während Bier in Eichstätt mit charmant-heiterer Gegenständlichkeit reüssierte, tobte in der Bundesrepublik um 1955 bis weit in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein eine erbitterte Debatte über die Bildhauerei und Malerei des abstrakten Expressionismus oder der Gegenstandslosigkeit und des so genannten lnformel.
Auch bei Willi Bier, dem längst in Eichstätt etablierten Zeichner und Maler fanden die zum Teil aus dem Exil in der Schweiz, Frankreich und Amerika wiederkehrenden Strömungen der modernen Kunst keine Anerkennung.
Die in den nationalen Kunstdebatten wieder oder noch immer scharf gerittenen Attacken der konservativen Kunstkritik und Kunsthistoriker und eines im Umgang mit den Anfängen der Moderne und der deutschen Bauhaus-Kunst vollends ungeübten Publikums, trug verhalten leise auch Willi Bier mit Bier mochte sich etwa 1953 durchaus darüber aufregen, dass die Ham-burger Kunsthalle in der überregionalen Presse ein Werk des von den Nazis verfolgten und 1940 verstorbenen Malers Paul Klee als besonders wertvolle Neuerwerbung vorstellte.
Klees 1940 entstandenes Aquarell „Drei Vierer segeln” ließ Bier im Februar 1953 zu Tusche, Pinsel und Feder greifen. Der Feuilleton-Redaktion der NEUEN FRANKFURTER ZEITUNG, die den „Klee-Vierer” vorgestellt hatte, wollte Bier seinen Gegenentwurf von „vier rodelnden Fünfern” zur Erstveröffentlichung offerieren. Zuletzt behielt Bier die „rodelnden Fünfer” und einen weiteren Entwurf von „zwei Dreiern am Meer” aber doch in der Schublade.
Von 1961 bis 1978 verordnete sich Bier als Zeichen- und Werklehrer ein reichlich normales und diszipliniertes bürgeliches dasein.
1969, so erinnert sich Sohn Thomas, gab es allerdings einen Ausbruchsversuch aus dem Lehreralltag. Mit C.O. Müller reiste Bier nach Spanien.
Im August des Jahres war in der Kipfenberger Kunstausstellung zum Limesfest noch eine 20 Blätter und drei Steinätzungen umfassende „Collektion Willi Bier aus Anlaß des 50. Geburtstags” gezeigt worden. Dann jedoch reiste man nach Spanien und von dort kam der C.O. alleine zurück.
Eine Mischung aus Sehnsucht nach neuen künstlerischen Möglichkeiten, Trauer über vertane Chancen und euphorischer Hingabe an die Farbe und das Licht hielt Willi Bier in Spanien fest.
Nach beinahe einem Jahr beugte sich Bier dem Druck finanzieller Notwendigkeiten. Die Familie in Eichstätt war in Bedrängnis geraten. Bier kehrte mit unzähligen Zeichnungen im Handgepäck zurück.
Aber eigentlich ist es die Mutter gewesen, erinnert sich Thomas Bier, die den Vater auch in den schwierigsten Lebensumständen mit energischem Einsatz und absoluter Treue unterstützt hat.
Dem möglicherweise mißglückten Versuch, eine Wende in Leben und Werk zu erzwingen, folgte ein bitteres Jahrzehnt, in dem sich Bier als Künstler aufgegeben zu haben schien.
Bier beherrschte die gefällige Gebrauchsgrafik, die schnelle und prägnante Zeichnung oder das episch-breit erzählende Aquarell. Ein künstlerisches Vermögen, das seine Bilder geistige und bildnerische Kraft ausstrahlen ließ, besaß er nur in begrenztem Umfang. Für neue entwicklungen in der Kunst konnte sich der Routinier der Linie kaum mehr erwärmen. Um so erstaunlicher sein letzter großer Auftritt im Dezember 1981. Vielleicht hat ihn aber gerade das Neue in seinen bildnerischen Möglichkeiten, das ihm bei dieser Ausstellung entgegen sah, überwältigt oder auch überfordert.
Text, Rüdiger Klein